Straftat: Ist "From the river to the sea..." strafbar? Verbotenes Kennzeichen der Hamas?

Der nachfolgende Beitrag setzt sich mit der sehr aktuellen strafrechtlichen Problematik auseinander, ob der Slogan „From the river tot the sea“ strafbar ist. Während eine Strafbarkeit nach § 130 StGB unstreitig – mangels Inlandsbezuges – ausscheidet sowie eine Strafbarkeit nach § 140 StGB nur bei hinzutreten besonderer Umstände in Betracht kommt, wird die Frage nach der Strafbarkeit nach § 86a StGB derzeit von den Strafgerichten und den Verwaltungsgerichten sehr unterschiedlich beantwortet. 

Anhand von einschlägigen Rechtsprechungen zu dieser Thematik wurden nachfolgend die Argumente zusammengetragen, die gegen eine Strafbarkeit des Slogans „From the river tot he sea…“ sprechen. Die zentralen Argumente wurden dabei der Entscheidung des Landgerichts Mannheims entnommen, welches mit Beschluss vom 29.05.2024 eine Strafbarkeit des Slogans „From the river tot he sea…“ nach § 86a StGB sehr instruktiv und lehrreich verneint hatte. Es ist – soweit ersichtlich – eines der ersten Entscheidungen eines Landgerichts zur Frage nach der Strafbarkeit der Parole nach § 86a StGB. Demnächst wird sich auch das OLG Düsseldorf zu dieser höchstinteressanten aber auch sehr anspruchsvollen Thematik befassen müssen, da ich gegen das Urteil des AG Düsseldorf vom 07.06.2024 Revision eingelegt habe. Auch das AG Braunschweig wird demnächst die Frage nach der Strafbarkeit des Slogans nach § 86a StGB beantworten müssen, da mein Mandant gegen den Strafbefehls Einspruch eingelegt hat. Jetzt wird der Fall vor dem AG Braunschweig verhandelt.

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Dr. Dejan Dardic

Rechtsanwalt Dr. Dejan Dardic ist ausschließlich auf dem Gebiet des Strafrechts tätig. Er berät sie in allen strafrechtlichen Angelegenheiten und vertritt sie bundesweit vor allen Amts-, Land- und Oberlandesgerichten sowie dem Bundesgerichtshof in Strafsachen. 

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Rechtliche Einschätzung - keine persönliche Meinung 

Bitte beachten Sie: Der nachfolgende Beitrag und die folgenden Ausführungen keine persönliche Meinung des Verfassers zum Konflikt wieder. Er ist politisch wertungsfrei zu verstehen und soll nicht den Eindruck erwecken, der Verfasser vertrete eine Pro-Israel oder Pro-Palästina Ansicht! Es handelt sich nur um eine rechtliche Einschätzung aus Sicht des Verfassers zur Frage, ob der Slogan "From the river to the sea" ein strafrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des § 86a StGB, darstellt und somit strafbar ist oder nicht. 

In Anbetracht der Komplexität dieser Thematik wird kein Anspruch auf Vollständigkeit und rechtliche Gewähr erhoben bzw. gegeben. Es soll lediglich eine Überblick zu dieser doch recht komplexen aber sehr aktuellen Thematik verschaffen. Wenn Sie eine rechtliche Beratung wünschen, so schreiben oder rufen Sie uns an.

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Zusammenfassung

  1. Punkt 20 der Hamas Charta ist keine Parole oder eine Variante einer Parole

    Beschreibung

  2. Punkt 20 der Hamas Charta ist zwar inhaltsgleich mit der Parole, aber nicht wortgleich

    Beschreibung

  3. Historischer Ursprung der Parole liegt nicht bei der Hamas, sondern bei der PLO in den 1960er Jahren

    Beschreibung

  4. Nicht nur der historische Kontext ist bei der strafrechtlichen Beurteilung zu berücksichtigen, sondern auch die Bedeutung des Slogans für die Palästinenser zur Zeit der Entstehung des Slogans

    Beschreibung

  5. "From the river to the sea" ist allgemein gehalten und bietet keine Lösungsmöglichkeiten zur Erreichung dieses Ziels

    Beschreibung

  6. "From the river to the sea" ist eine formelhafte Wendung und fällt somit nicht unter § 86a StGB

    Beschreibung

  7. "From the river to the sea" als Befreiungsslogan untrennbarer Bestandteil der palästinensischen Identität

    Beschreibung

  8. Keine Anzeichen eines Zueigenmachens des Slogans durch die Hamas bei öffentlichen Auftritten etc. zum Beispiel durch Rufe, Gesänge oder bestimmte Rituale die einen Zusammenhang mit der Hamas erkennen lassen und somit Identitätsstiftend ist 

    Beschreibung

  9. Auch bei restrektiver Auslegung des § 86a scheidet eine Strafbarkeit aus, da der Slogan nicht eindeutig der Hamas zugerechnet werden kann 

    Beschreibung

  10. "From the river to the sea" unterliegt der Sozialadäquanzklausel und ist somit nach § 86a Abs. 4 StGB nicht strafbar

    Beschreibung

  11. Verbotsverfügung des BMI sagt nichts über eine Strafbarkeit nach § 86a StGB aus. Ob Handlungen unter § 86a StGB fallen und somit strafbar sind, entscheiden ausschließlich die Gerichte im Einzelfall, nicht das BMI

    Beschreibung

  12. Verbotsverfügung des BMI dürfte Teilnichtig sein und die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1, 2, Art. 3 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 GG verletzen. Außerdem: Verstoß gegen das Neutralitätsgebot des Staates und Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz sehr wahrscheinlich

    Beschreibung

  13. Polizeiliche Vorladung erhalten: Bitte Termin absagen! Bitte Schweigen Sie und holen sich rechtlichen Rat ein. Sie haben das Recht zu Schweigen! Machen Sie hiervon gebrauch - Sie haben keine Nachteile zu befürchten

    Beschreibung

  14. Strafbefehl erhalten? Bitte die Frist von 14 Tagen unbedingt einhalten. Frist beginnt mit Zustellung. Einspruch muss nicht begründet werden, jedoch erkennen, dass Sie den Strafbefehl nicht akzeptieren. Achten Sie auf die richtige Bezeichnung des Gerichts und des Aktenzeichens. Der Einspruch muss innerhalb von 14 Tagen bei Gericht eingegangen sein! Es zählt der Eingang bei Gericht, nicht der Poststempel! 

    Beschreibung

  15. Strafbefehl: Ob sich ein Einspruch lohnt oder nicht, sollten Sie mit einem Rechtsanwalt/ Strafverteidiger besprechen. Holen Sie sich rechtlichen Rat ein!

    Beschreibung

  16. Es ist nicht ratsam sich selbst zu verteidigen, auch wenn Ihnen die Argumente die gegen eine Strafbarkeit sprechen bekannt sind. Die vorliegende Thematik ist ausgesprochen anspruchsvoll. Suchen Sie sich daher einen Strafverteidiger! 

    Beschreibung

Warum "From the river to the sea..." kein verbotenes Kennzeichen nach § 86a StGB ist!

Für eine Strafbarkeit nach § 86a StGB ist zunächst erforderlich, dass der Täter ein Kennzeichen im Inland verbreitet oder öffentlich zur Schau stellt. Was genau ein Kennzeichen im Sinne des § 86 Abs. 1 StGB definiert das Gesetz in § 86a Abs. 2 StGB. Ein Verwenden eines solchen Kennzeichen dürfte in der Mehrzahl der zu entscheidenden Fälle unproblematisch sein. Auch das es sich um ein Kennzeichen im Sinne des § 86a Abs. 2 StGB handelt. Aber: Es handelt sich gerade nicht um ein Kennzeichen der Hamas. Mangels Kennzeicheneigenschaft einer Vereinigung im Sinne des § 86a StGB kommt eine Strafbarkeit nicht in Betracht. 

Folgende Argumente, die der Verfasser aus der einschlägigen Rechtsprechung zu dieser Frage zusammengetragen hat sprechen gegen ein Kennzeichen der Hamas:

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Faire Anwaltskosten - Kostentransparenz

Eine gute Strafverteidigung hat immer seinen Preis. Ein guter Rat ist Teuer. Dennoch soll eine gute Verteidigung nicht an den finanziellen Mitteln scheitern. Sie können darauf vertrauen, dass ich Ihnen bei den Anwaltskosten entgegenkommen werde und wir gemeinsam die Finanzierungsmöglichkeiten erarbeiten werden. 

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Wenn bei Ihnen besondere Umstände vorliegen und Sie finanziell nicht in der Lage sind sich einen Anwalt zu leisten (Schüler/ Student/ Rentner etc.), so besteht die Möglichkeit, dass ich Ihren Fall bei besonderem Interesse pro bono (kostenlos) übernehmen. Die Entscheidung ist abhängig vom Fall und den Gesamtumständen.

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Argumente gegen eine Straftat (§ 86a StGB)

  1. 1. Argument

    Historischer Hintergrund spricht nicht für ein Kennzeichen der Hamas

  2. 2. Argument

    From the river to the sea ist nur eine formelhafte Wendung die nicht unter den Tatbestand des § 86a StGB fällt

  3. 3. Argument

    Identifikation: From the river to the sea ist als Befreiuungsslogan untrennbarer Bestandteil der Palästinenser und  ihrer Unterstützer für ein freies Palästina 

  4. 4. Argument

    From the river to the sea... ist sehr allgemein formuliert und enthält keine Lösung zur Umsetzung

  5. 5. Argument

    Strafbarkeit nach § 86a StGB scheidet mangels Zueigenmachens des Slogans durch die Hamas

  6. 6. Argument

    Strafbarkeit scheidet wegen § 86a Abs. 4 StGB aus - Sozialadäquanzklausel

  7. 7. Argument

    Selbst bei restriktiver Auslegung des § 86a StGB nach den Leitlinien des BGH, scheidet eine Strafbarkeit aus

  8. 8. Argument

    Verbotsverfügung des BMI ist teilnichtig und verstößt gegen die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1, Abs. 1, S. 3, Abs. 2 , Art. 3 Abs. 3 S. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG

Welche Argumente sprechen gegen eine Strafbarkeit?

Die nachfolgenden Argumente, die für den vorliegenden Beitrag stark verkürzt wurden und an den Nichtjuristisch vorbelasteten Laien/ Normalbürger gerichtet sind, sind eine Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechung die zu dieser Thematik verfügbar sind und eine Strafbarkeit des Slogans "From the river to the sea" verneint haben. 

Besondere Hervorhebung findet hier der Beschluss der 5. Strafkammer des Landgerichts Mannheim vom 29.05.2024 zur Frage nach der Strafbarkeit nach § 86a StGB. Das Landgericht Mannheim hat sich auf gut 14 Seiten mit der Frage der Strafbarkeit der Parole "From the river to the sea..." nach § 86a StGB beschäftigt und dabei sehr vorbildlich dargelegt, warum die Parole nicht der Hamas zugerechnet werden könne, welchen Ursprung die Parole hat, wie die Parole historisch einzuordnen sei, warum Punkt 20 der Hamas der Charta nicht ausreicht, um ihr den Charakter einer Parole zuzubilligen, was eine Parole auszeichnet und vor allem warum hier § 86a Abs. 4 StGB greift und warum selbst nach der sehr engen Auslegung des § 86a StGB durch die vom BGH entwickelten Leitlinie, eine Strafbarkeit nicht in Betracht kommt. Daneben setzt sich die 5. Strafkammer des Landgerichts Mannheim u.a. mit den Entscheidungen des OVG Bremen und OVG Mannheim auseinander, die eine Strafbarkeit des Slogans im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren bejaht bzw. für sehr wahrscheinlich gehalten haben - insgesamt eine Pflichtlektüre für die Staatsanwaltschaft und die Amtsgerichte. 

Die nachfolgenden Argumente die gegen eine Strafbarkeit nach § 86a StGB sprechen und weitestgehend dem Beschluss des Landgerichts Mannheim entnommen worden sind, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

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1. Argument: Nur formelhafte Wendung!

Bei dem Slogan "From the river to the sea" handelt es sich um eine Parole die von einer Vielzahl von Palästinensern benutzt wird und zwar weltweit. Mit dieser Parole wird eine politische Gesinnung zum Ausdruck gebracht die bis auf weiteres keinen Bezug hat zur Hamas. Da es sich um eine Ausdruck politischer Gesinnung handelt ist Art. 5 Abs. 1 GG – die Meinungsfreiheit – besonders in den Blickfeld zu nehmen und von den Gerichten zu beachten. Eine politische Gesinnung bzw. eine formelhafte Wendung unterliegt aber gerade nicht dem Tatbestand des § 86a StGB.

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2. Argument: Historischer Kontext

Historisch betrachtet geht der Slogan "From the river to the sea" auf die Gründungszeit der PLO in den 1960er Jahre zurück. Bei näherer historischer Betrachtung zur damaligen Gründungszeit der PLO sowie den politischen Absichten der Palästinenser kann der Parole „From the river to the sea“ gerade nicht entnommen und unterstellt werden, dass damit eine Vernichtung Israels beabsichtig sei sowie das Existenzrecht der israelischen Bevölkerung und des Staates Israel bestritten wird mit der Absicht, den Staat Israel zu eliminieren etc.

Der Slogan bzw. die Parole "From the river to the sea", nimmt lediglich das historische Gebiet von Palästina, welches unabhängig von der politischen Zugehörigkeit für die Palästinenser Referenzpunkt ihrer historischen Heimat ist, in Bezug. 

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Annahme einiger Gerichte hierzulande bezugnehmend auf den historischen Kontext sehr einseitig dargestellt werden und der Ursprung und die Bedeutung des Slogans sehr unkritisch (!) von den Mainstream Medien – die mehrheitlich den Slogan als Israel feindlich oder Antisemtisch einstufen – übernommen werden. Die Bedeutung des Slogans für die Palästinenser wird dabei außen vorgelassen, der historische Ursprung und damit zusammenhängend die damaligen politischen Ziele, die nicht zwangsläufig mit den gegenwärtigen deckungsgleich sind, werden hierbei von den Gerichten nicht ausreichend beachtet und stattdessen die Tatsache besonders hervorgehoben, dass sich die Hamas 2017 diesen Slogan zu eigen gemacht hätte und der Urheber sei.  

Die zu dieser Thematik veröffentlichten Gerichtsentscheidungen zeigen eine deutliche Tendenz dahingehend, den Slogan "From the river to the sea", trotz mehrdeutiger Interpretationsmöglichkeiten, im Zweifel als Israel-Feindliche Parole einzustufen und weitestgehend der Hamas zuzuschreiben. Obwohl die Rechtsprechung des BVerfG zur Auslegung von mehrdeutigen Kommentaren/ Aussagen eindeutig ist und im Zweifel der günstigeren Auslegung einer Aussage den Vorrang zukommen lässt (Grundsatz: Im Zweifel für Art. 5 GG), insbesondere dann, wenn es sich um ein gesellschaftspolitisches Thema handelt - wie hier im Fall - werden die vom BVerfG aufgestellten Grundsätze von der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung mehrheitlich ignoriert und missachtet

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3. Argument: Slogan ist untrennbarer Teil palästinensischer Identität

"From the river to the sea" dürfte als Slogan nahezu jedem Palästinenser bekannt sein. Richtig ist, dass der Slogan im Laufe der letzten 50 Jahre verschiedene Bedeutungen angenommen hat und einem historischen Wandel unterlag. Unter den jüdisch-israelischen Historikern besteht Einigkeit dahingehend, dass es wohl kaum einen Palästinenser gibt oder einen Unterstützer der Palästinenser, welcher sich mit dem Slogan „From the river to the sea, Palestine will be free“ als Befreiungsslogan nicht identifiziert. Denn der Slogan ist sehr allgemein gehalten und spricht lediglich das gewünschte Ergebnis aus, nicht jedoch wie eine Lösung hierzu aussehen soll.

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4. Argument: Slogan ist sehr allgemein gehalten

Der Slogan/ die Parole "From the river to the sea" ist sehr allgemein gehalten und bietet keine Lösungsmöglichkeiten an, wie der Wunsch der Palästinenser umgesetzt und letztlich das Ziel erreicht werden könne. Der Slogan enthält somit sehr viele Interpretationsmöglichkeiten.

  • Er kann sowohl dahingehen verstanden werden, dass damit der Wunsch der Palästinenser nach einer friedlichen diplomatischen Lösung/ 2 Staaten Lösung etc. zum Ausdruck gebracht werden soll – und zwar unabhängig davon, ob dieser wie in dem Fall meiner Mandantschaft fast einen Monat nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel erfolgt, wohingegen das Amtsgericht Düsseldorf gerade die gegenteilige Annahme vertrat und dem Slogan „From the river to the sea“ aufgrund eines engen Zusammenhang mit dem Angriff der Hamas im Oktober 2023 die Intention unterstellt hatte, dass damit der Staat Israel vernichtet werden soll - eine Unterstellung des AG Düsseldorf die sich nicht ansatzweise verifizieren bzw. beweisen lässt und meiner Mandantschaft eine Feindselige Einstellung unterstellt.
  • So wie es das AG Düsseldorf in seinem Urteil vom 07.06.2024 vertritt, sehen es auch die Kritiker dieser Parole und unterstellen dem Slogan eine feindselige Intention, nämlich dass damit das Existenzrecht Israels bestritten werde und der jüdische Staat vernichtet werden soll. In diesem Punkt unterscheidet sich die Argumentation von der Rechtsauffassung des AG Düsseldorf, welches wiederum meint, dass der Slogan "From the river to the sea" zur heutigen Zeit, sprich Anfang/ Mitte 2024 unproblematisch sei, jedoch 4 Wochen nach den Angriffen der Hamas im November 2023 der Hamas zugerechnet werden könne. Eine Argumentation, die nach Ansicht des Verfassers nicht überzeugt, unschlüssig aber vor allem nicht konsequent durchdacht ist, da es nach Ansicht des Gerichts offensichtlich auf den Zeitpunkt ankommt, wann der Slogan öffentlich gemacht werde und somit ein Kennzeichen strafbar sei oder nicht. Diese Argumentation kann für den Straftatbestand des § 140 StGB – der Billigung von Straftaten – in Ansätzen vertretbar sein, nicht aber für eine Strafbarkeit nach § 86a StGB.

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5. Argument: Kein Zueigenmachen des Slogans durch die Hamas

Des Weiteren spricht gegen eine Strafbarkeit nach § 86a StGB die Tatsache, dass es am Zueigenmachen des Slogans zur Hamas fehlt. Die Hamas hat in ihrer Charta 2017 unter Punkt 20 einen identischen Satz mit aufgenommen, welcher jedoch nur sinngemäß, nicht wortgleich die Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer als Ziel äußert. In der Charta der Hamas lässt sich unter keinem der genannten Punkte der Satz „From the river to the sea, Palestina will be free“ wiederfinden. Auch Punkt 20 der Charta enthält lediglich Umschreibungen die das Ziel der Befreiung der Palästinenser zum Ausdruck bringen sollen, jedoch enthält Punkt 20 der Charta – auf die von den Gerichten immer wieder Bezug genommen wird, als Indiz für eine Kennzeichen der Hamas und ihrer Parole – lediglich eine Forderung nach der Befreiung der besetzten Gebiete. Wörtlich heißt es unter Punkt 20 der Charta: 


„Die Hamas ist der Ansicht, dass kein Teil des Landes Palästina aufgegeben oder zugestanden werden darf, unabhängig von den Ursachen, den Umständen und dem Druck und unabhängig davon, wie lange die Besatzung andauert. Die Hamas lehnt jede Alternative zur vollständigen und uneingeschränkten Befreiung Palästinas vom Fluss bis zum Meer ab. Ohne ihre Ablehnung der zionistischen Entität zu kompromittieren und ohne auf irgendwelche palästinensischen Rechte zu verzichten, betrachtet die Hamas die Errichtung eines vollständig souveränen und unabhängigen palästinensischen Staates mit Jerusalem als Hauptstadt nach dem Vorbild des 4. Juni 1967 und die Rückkehr der Flüchtlinge und Vertriebenen in ihre Häuser, aus denen sie vertrieben wurden, als eine Formel des nationalen Konsenses. Es gibt keine Anerkennung der Legitimität des zionistischen Staates.“ 

Die Frage die sich hier stellt und die einige Gericht zu Unrecht bejaht haben ist, ob sich dem Punkt 20 der Charta der Hamas eine Parole entnehmen lässt, welche Gleichwertig zu „From the river to the sea“ ist und die somit als Kennzeichen der Hamas zugesprochen werden kann. 

Nicht nur aus Sicht der Verfassers, sondern auch nach Ansicht des Landgerichts Mannheim, kann Punkt 20 der Charta gerade keine Parole/ Slogan entnommen werden, welcher sinnbildlich bzw. stellvertretend für die Parole „From the river to the sea" steht. Denn charakteristisch für eine Parole ist nach der Definition des Dudens, dass es sich „in einem Satz, Spruch einprägsam formulierter Vorstellung, Zielsetzung, Gleichgesinnter“ handeln muss oder vereinfacht gesagt: Es muss sich um einen motivierenden Leitspruch handeln. Daran fehlt es hier. 

Punkt 20 der Charta der Hamas erfüllt diese Voraussetzungen nicht – auch nicht, wenn lediglich in der Formulierung unter Punkt 20 der Charta von einer Art einer Variante der Parole gesprochen wird – so beispielsweise das OVG Bremen und VGH Mannheim – da eine solche Auslegung eine Ausdehnung der Eigenschaft/ dem Wesen einer Parole zur Folge hätte und sie mit dem Wesen und der Charakteristika einer Parole unvereinbar ist. 

Weder in Punkt 20 der Charta der Hamas noch an anderer Stelle der Charta findet sich der Satz "From the river to the sea..." wortwörtlich wieder, Punkt 20 der Hamas Charta - welches von einigen Gerichten als Hauptargument für eine Zugehörigkeit der Parole "From the river to the sea" angeführt wird - erfüllt nicht die Voraussetzungen an eine Parole oder einen Leitspruch. In diesem Sinne hat auch das Landgericht Mannheim argumentiert und sich eingehend mit der Eigenschaft einer Parole auseinandergesetzt und diese dem Punkt 20 der Charta zugrundegelegt. Nach Ansicht des Landgerichts Mannheims erfüllt Punkt 20 der Charta der Hamas nicht ansatzweise die Anforderungen an eine Parole. 

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6. Argument: Sozialadäquanzklausel § 84a Abs. 4 StGB

Darüber hinaus lässt sich hilfsweise und auch nur für den Fall, dass die Gerichte die bisherigen Argumente nicht für überzeugend halten, eine Strafbarkeit mit Verweis auf § 86a Abs. 3 iVm. § 86a Abs. 4 StGB verneinen. Nach dieser Norm scheidet eine Strafbarkeit aus, wenn die vorliegende Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient. Die Verwendung zu sozialadäquaten Zwecken ist nach Ansicht einiger Fachgerichte auch dann gegeben, wenn ein Zusammenhang zu der verbotenen Vereinigung nicht vorliegen.

Beispielhaft lässt sich das an der Entscheidung des OVG Lüneburg vom 20.10.2020 festhalten, wo sich das OVG zu einer Strafbarkeit nach § 86a StGB und dem Zeigen von Öcalan-Bildern geäußert hat, welches das Zeigen von Öcalan Bildern als sozial-adäquat ansah und somit eine Strafbarkeit nach § 86a StGB verneint hatte. Das Fallbeispiel des OVG Lüneburg ist auf den vorliegenden Fall übertragbar. 

Auch der VGH Kassel für das Land Hessen (VGH Hessen) ist bei seiner Entscheidung vom 22.03.2024 zur Frage nach der Strafbarkeit der Parole - jedoch nach dem VereinsG - von einer zulässigen Meinungsäußerung ausgegangen und begründete seine Entscheidung mit der Sozialadäquanzklausel und dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG, welches in besonderem Maße zu berücksichtigen sei, gerade dann, wenn eine solche Parole von gesellschaftspolitischer Bedeutung ist. 

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7. Argument: Restriktive Auslegung § 86a StGB 

Auch unter Berücksichtigung der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH zu § 86a StGB kann für den vorliegenden Fall eine Strafbarkeit nicht angenommen werden. Die mittlerweile in der Rechtsprechung gefestigte restriktive Auslegung des § 86a StGB geht auf den Beschluss des BGH vom 01.10.2002 zurück, welcher dem BGH vom OLG Nürnberg vorgelegt wurde. Worum ging es? 

  • Der BGH musste Stellung beziehen zur Frage, ob eine Strafbarkeit nach § 86a StGB auch dann in Betracht kommt, wenn das betreffende Kennzeichen oder ein diesem zum Verwechseln ähnliches Kennzeichen ohne konkreten Hinweis auf dessen Zuordnung zu einer verbotenen Organisation, öffentlich verwendet wird, der objektive Tatbestand des § 86a StGB somit erfüllt sei. Eine Fragestellung, welche exakt auf den vorliegenden Fall zum Slogan "From the river to the sea" übertragbar ist. 

Nach Ansicht des BGH kommt eine Strafbarkeit nach § 86a StGB dann nicht in Betracht, wenn es sich um Handlungen handelt, die dem Schutzweck der Norm nicht zuwiderlaufen oder sogar in seinem Sinne wirken. Vereinfacht und auf den Fall „From the river to the sea“ ausgedrückt: Der Slogan kann nicht eindeutig der Hamas zugeordnet werden und läuft somit nicht dem Schutzzweck der Norm zuwider. 

Anders sehe der Fall aus, wenn es sich um ein offensichtlich verbotenes Kennzeichen handeln würde, welches sodann in einem mehrdeutigen Zusammenhang gebraucht wird. Für diesen Fall sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, um die Frage zu beantworten, ob das Kennzeichen dem Schutzzweck der Norm zuwiderläuft. Dabei sind die Grundrechte der Betroffenen Personen im besonderen Maße zu berücksichtigen, so etwa die Grundrechte aus Art. 4 GG, Art. 5 GG und Art. 2 GG. Ob vorliegend eine Strafbarkeit nach dem vom BGH entwickelten Grundsätzen zu dieser Thematik überhaupt in Betracht käme, mithin die restriktive Auslegung des BGH zu § 86a StGB verfassungsrechtlich mit der Rechtsprechung des BVerfG vereinbar ist, kann dahinstehen, da es sich bei der Parole/ dem Slogan „From the river to the sea“ nicht um ein eindeutig, offensichtlich, verbotenes Kennzeichen handelt, welches der HAMAS zugerechnet werden kann. 

 Der VGH Baden-Württemberg vertritt hierzu - im Gegensatz zum Landgericht Mannheim - eine völlig andere Rechtsauffassung: Nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg ist ein Bezug zwischen der Äußerung und der Organisation nicht erforderlich – entgegen der Rechtsansicht der Strafkammer des Landgerichts Mannheim. 

  • Um sich nicht nach § 86a StGB strafbar zu machen, sei es erforderlich, dass ein außenstehender Beobachter auf „Anhieb“ erkennen müsse, dass die äußernde Person in „Gegnerschaft“ zur verbotenen Organisation stehe, was nach Ansicht des VGH Baden-Württemberg bei einer Pro Palästina Versammlung nicht angenommen werden könne - eine sehr gewagte These (Anmerkung des Verfassers). 
  • Auch meint das VGH Baden-Württemberg, dass ein außenstehender Beobachter Rufe/ Plakate mit der Aufschrift „From the river to the sea“ im Rahmen einer Pro-Palästina Versammlung zu einem erheblichen Teil als Aktion zugunsten der Hamas auffassen würde - eine sehr anmaßende Unterstellung ohne jegliche empirische Evidenz die vor allem suggeriert, dass dem Durchschnittsbetrachter das notwendige Wissen zum Konflikt fehlt (Anmerkung des Verfassers). 
  • Mit dieser befremdlichen Argumentation und Auslegung legt das VGH die Maßstäbe für eine straflose Äußerung nach § 86a Abs. 4 StGB sehr hoch an und legt – im Gegensatz zu den Strafgerichten – die Ausnahme nach § 86a Abs. 4 StGB deutlicher enger aus

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8. Argument: Teilnichtigkeit der Verbotsverfügung

Soweit die Staatsanwaltschaften in Ihrer Anklageschrift Bezug zur Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums nehmen oder aber die Gerichte bei den Urteilsgründe, so erscheint es höchst fragwürdig, ob eine Verurteilung nach § 86a StGB auf Grundlage einer Verbotsverfügung einer revisionsrechtlich bzw. verfassungsrechtlichen Prüfung Stand halten kann. 

Denn: Zum einen sind die Gerichte daran gehalten in ihren Urteilsgründen die Frage zu beantworten, warum aus Sicht des Gerichts das zugrundeliegende Kennzeichen unter § 86a StGB fällt oder nicht. Unter keinem Umständen, kann das Gericht bei der Urteilsfindung lediglich Bezug nehmen zur Verbotsverfügung und sich darauf stützen, da nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Verbotsverfügung zwar auf der Rechtsfolgenseite zwingend ein Kennzeichnungsverbot zur Folge hat, die Frage, ob das jeweilige Kennzeichen gerade unter ein solches Verbot fällt, ausschließlich den Gerichten überlassen bzw. vorbehalten ist. 

Zum anderen dürfte die Verbotsverfügung auch Teilnichtig sein, jedenfalls bestehen erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken an der Verfassungskonformität der Verbotsverfügung. Indem das Verbot an den Inhalt einer politisch missbilligten und/ oder unbeliebten Meinung anknüpft, greift die Verfügung in das Grundrecht der Meinungsfreiheit an (Art. 5 Abs. 1 GG), welche verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden kann, insbesondere ist keine Vorschrift ersichtlich die den Anforderungen aus Art. 5 Abs. 2 GG genügen dürfte. Das Verbot dürfte auch mit Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG unvereinbar sein und auch der staatlichen Neutralitätspflicht nicht genügen sowie entgegen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG auf eine politische Anschauung zielen. Darüber hinaus dürfte die Verbotsverfügung auch nicht dem Bestimmtheitsgebot genügen.

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